Menschlich, allzumenschlich?

Menschlich, allzumenschlich?

Menschen sehen Menschen überall. Wir erkennen menschliche Gesichter in Wolken und Bergformationen, wir sprechen menschlich mit unseren Haustieren, mit Autos und anderen Geräten. Warum also nicht erst recht ChatGPT »vermenschlichen«, wenn es sich auch noch so verhält wie wir?

Viele warnen davor, KI-Systeme zu »anthropomorphisieren«, ihnen also menschliche Eigenschaften zuzuschreiben. Die Vermenschlichung könne dazu führen, dass wir die Fähigkeiten dieser Systeme überschätzen, ihnen Verantwortung und Entscheidungsgewalt übertragen – und dass wir ungesunde emotionale Beziehungen zu Maschinen aufbauen, die im Grunde nur statistische Modelle sind.

So berechtigt diese Befürchtungen sind, so wenig helfen sie uns im praktischen Umgang mit KI. Und das hat nichts mit der schwierigen Frage zu tun, ob diese Systeme tatsächlich über menschenähnliche Intelligenz oder gar Bewusstsein verfügen. Es geht vielmehr darum, wie wir Menschen mit KI interagieren. So macht ein Dialog mit ChatGPT nur dann Sinn, wenn wir bereits voraussetzen, dass das System auch in der Lage ist, sinnvolle Antworten zu geben.

Wenn wir hingegen darauf beharren, dass ChatGPT nur statistische Wortfolgen vorhersagt (was es tatsächlich tut), dann werden uns die Antworten nichtssagend oder sogar unglaubwürdig vorkommen, selbst wenn sie sinnvoll und hilfreich sind. Was ChatGPT uns liefert, wird uns dann als rätselhafter Zufall erscheinen. Einem »stochastischen Papagei» würden wir selbst dann nicht glauben, wenn er die Wahrheit sagt.

Wir müssen etwas Menschliches in die KI hineinprojizieren, damit wir etwas Sinnvolles mit ihr anfangen können. Zum Beispiel müssen wir davon ausgehen, dass ChatGPT unsere Fragen irgendwie »versteht«, sonst bräuchten wir sie gar nicht zu stellen. Und wir müssen davon ausgehen, dass sich die Antworten in ähnlicher Weise auf Gegenstände und Sachverhalte beziehen, wie unsere Fragen das tun. Das heißt aber nicht, dass in der KI ein »Geist« oder ein »Bewusstsein« sitzt.

Die »Anthropomorphisierung« kann vielmehr eine nützliche Fiktion sein, die uns dabei hilft, mit KI effektiver zu arbeiten. Dies zeigt sich zum Beispiel, wenn wir ChatGPT bitten, eine bestimmte Rolle einzunehmen, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Natürlich glauben wir nicht ernsthaft, dass der Chatbot wirklich ein »Lehrer« oder »Coach« ist – aber es ist nützlich, so zu tun, als wäre er es.

Anthropomorphisierung gab es zu allen Zeiten, in allen Kulturen und Religionen. Ob Götter, Tiere oder Naturgewalten: Schon immer projizierten die Menschen ihre menschlichen Eigenschaften auf nichtmenschliche Wesenheiten. Vielleicht sollten wir darin nicht nur einen archaischen Irrglauben sehen, sondern auch einen Ausdruck der Sehnsucht des Menschen, sich selbst in der Welt wiederzuerkennen – erst recht in einer Welt intelligenter Maschinen, die uns immer mehr überflügeln.

Keine Frage: Wir müssen bei der Nutzung und der Entwicklung künstlicher Intelligenz eine klare Grenze zwischen menschlichen Wesen und maschinellen Systemen ziehen. Künstliche Intelligenz ist ein vom Menschen geschaffenes Werkzeug ohne die intrinsischen Eigenschaften, die das Menschsein definieren. Eine KI ist kein biologisches Wesen, sie wird nicht geboren, sie altert und stirbt nicht. Sie ist definitiv kein Mensch. Dennoch kann es sinnvoll sein, ihr bestimmte menschenähnliche Fähigkeiten zuzuschreiben.

Im Zweifelsfall könnten wir die KI als eine Art Alien betrachten, als eine außerirdische Intelligenz, die wir erst kennenlernen müssen. Auch das ist natürlich eine Fiktion. Wir könnten aber zunächst einmal probeweise annehmen, dass dieser Alien irgendwie so ist wie wir – und dann sehen, wie weit wir damit kommen.

So wäre es womöglich sinnvoll, es einmal mit menschlicher Höflichkeit zu versuchen. Wir könnten uns gegenüber der KI sozusagen von unserer besten menschlichen Seite zeigen. Wir sollten es sogar. Denn wir Menschen sind die Trainingsdaten der KI. Schon deshalb kann es nicht verkehrt sein, gelegentlich »bitte« und »danke« zu sagen.

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