„Noch hat der Mensch das letzte Wort“
Künstliche Intelligenz verändert auch den Journalismus. Markus Franz, CTO bei Ippen Digital, über Möglichkeiten und Grenzen der Automatisierung im Zeitungsalltag.
human: Markus Franz, was genau ist Ihre Rolle bei Ippen Digital?
Markus Franz: Mit über 16 Jahren Erfahrung bei Ippen Digital bin ich derzeit als CTO tätig und leite zusätzlich das Incubator Lab – ein zukunftsorientiertes Innovationszentrum für die Neugestaltung von Publishing, digitalen Plattformen und KI-gestütztem Design. Meine Leidenschaft gilt der digitalen Transformation, adaptiven Arbeitsumgebungen und der Schaffung von Synergien zwischen Mensch und künstlicher Intelligenz. Als überzeugter Vertreter systemischen Denkens betrachte ich Herausforderungen dabei ganzheitlich – im Zusammenspiel von Technologie, Menschen und organisatorischer Dynamik. Basierend auf Erkenntnissen aus der Kognitions- und Neurowissenschaft entwickle ich Lösungen, die moderne Algorithmen nutzen und gleichzeitig berücksichtigen, wie Menschen denken, lernen und zusammenarbeiten.
Was passiert in Ihrem Incubator-Lab?
Vor etwa eineinhalb Jahren haben wir gemerkt, dass sich besonders im Bereich Künstliche Intelligenz alles extrem schnell entwickelt. Jede Woche gibt es neue Entwicklungen. Um darauf reagieren zu können, haben wir ein strategisches Inkubator-Lab gegründet – das The.Lab. Das »THE» steht für "The Human Experience". Uns geht es darum, herauszufinden, was technologisch wirklich funktioniert, wo noch Hype ist und wo echter Mehrwert entsteht.
Was unterscheidet The.Lab von klassischen Entwicklungsabteilungen?
Wir experimentieren schnell und fokussiert. Wir wollen wissen: Was bringt echten Nutzen im Alltag? Dabei ist unsere Perspektive immer menschzentriert. Auch wenn ich nicht aus der Kognitionswissenschaft komme, nutze ich ihre Erkenntnisse gezielt für die Entwicklung menschzentrierter Systeme. Wer den Menschen nicht versteht, kann keine sinnvollen KI-Systeme bauen. Es geht um soziotechnologische Systeme, nicht nur Software.
Woran arbeiten Sie zur Zeit?
Wir arbeiten intensiv an Voice-Technologie, eingebettet in ein Konzept der "Ambient Intelligence". Ziel ist, dass sich Technologie nahtlos in den Alltag integriert. Sprache wird dabei zur intuitivsten Schnittstelle. Ein Beispiel: Nutzer können per Sprachbefehl Artikel oder KPIs (Leistungskennzahlen) abrufen, ohne sich durch Dashboards klicken zu müssen. Das reduziert die kognitive Belastung deutlich.
Geht es dabei nur um Sprache als Eingabe?
Nein, wir denken das multimodal. Die Systeme ergänzen das Gesagte durch Text, Bilder oder Visualisierungen – also etwa Charts auf dem Smartphone oder Desktop. Das macht Informationen für die Nutzer unmittelbar greifbar. Sprache öffnet das System, und die Antwort kommt im passenden Format zurück.
Arbeiten Sie auch mit Agenten, also autonomen Systemen, die bestimmte Aufgaben übernehmen können?
Aktuell setzen wir Agenten z. B. im SEO (Suchmaschinenoptimierung) ein. Das ist regelbasiert – und Maschinen sind gut darin, Regeln umzusetzen. Spannend wird es, wenn Agenten selbst Vorschläge machen, etwa zur Textoptimierung basierend auf Nutzerdaten. Im Publishing helfen uns dabei viele KPIs wie Scrolltiefe, Leseabbrüche oder Interaktionen. Diese Daten geben wir als Feedback an die Agenten, ähnlich wie beim Reinforcement Learning.
Können Sie ein Beispiel geben?
Nehmen Sie einen Artikel, bei dem der dritte Absatz hohe Abbruchquoten zeigt. Das System erkennt das und schlägt dem Redakteur vor, den Text umzuschreiben – oder formuliert sogar selbst einen Alternativvorschlag. Das ist "human in the loop": Die Maschine liefert, der Mensch entscheidet.
Wird irgendwann die Maschine allein entscheiden?
Noch hat der Mensch das letzte Wort. Der Agent schlägt vor, aber freigeben muss ein Redakteur. Das ist fest in unserem Prozess verankert. Vollautomatisierung im Publishing – so weit sind wir noch nicht. Und vielleicht ist das auch gut so.
Wie verändert sich die „kognitive Umgebung“ in einem KI-gestützten Publishing-Prozess?
Aus Sicht der Kognitionswissenschaft gilt: Je komplexer ein Prozess, desto wichtiger ist es, die kognitive Last zu reduzieren. Genau das versuchen wir – durch visuelle und sprachliche Interfaces, durch smarte Assistenz. Die Umgebung verändert sich also dahin, dass die KI kontextbezogene Hilfe bietet und damit die Arbeit erleichtert. Es geht nicht darum, alles zu automatisieren, sondern gezielt zu unterstützen, wo es Sinn ergibt.
Sie haben von kognitiver Entlastung gesprochen. Welche Tätigkeiten kann man aus Ihrer Sicht bereits heute sinnvoll an Maschinen übergeben?
Routinetätigkeiten sind prädestiniert dafür – ein einfaches Beispiel ist das Verschlagworten von Inhalten. Das wird sicher deutlich zunehmen. Für mich selbst ist KI mittlerweile eine echte Unterstützung. Ich spreche fast täglich mit einem LLM, lasse Ideen prüfen oder Ansätze challengen. Es ist wie ein persönliches Level-up.
Was bedeutet der zunehmende KI-Einsatz für den Journalismus?
Wir müssen uns ehrlich fragen: Was ist der eigentliche Wert journalistischer Arbeit? Ich glaube, der liegt im Einordnen, in der Nähe zum Bürger, in der Reflexion – das sind zutiefst menschliche Aufgaben. Auch bei investigativer Recherche ist die Maschine ein Werkzeug, aber die abschließende Bewertung bleibt beim Menschen. Das ist es, was wir mit dem „letzten Wort“ meinen.
Was, wenn automatisierte Inhalte irgendwann besser sind als menschlich produzierte?
Das ist eine heikle, aber berechtigte Frage. Wenn KI-Inhalte qualitativ hochwertiger sind – sagen wir informativer, klarer, relevanter –, dann wird sich der Markt sicher daran orientieren. Aber ich glaube, der Unterschied liegt in der persönlichen Note: Wo setze ich als Mensch einen Schwerpunkt? Wie formuliere ich etwas mit Haltung, mit Intuition?
Was sehen Sie als nächsten großen Schritt?
Spannend finde ich aktuell die Entwicklung von Maschinen, die selbstständig forschen. Es gibt bereits Modelle, die Hypothesen aufstelle und Papers schreiben. Besonders interessant wird es, wenn diese Maschinen fächerübergreifend agieren, also zum Beispiel Inhalte aus Medizin, Informatik, Philosophie kombinieren und verständlich zusammenfassen. Das kann Forschung stark voranbringen.
Sehen Sie eine Zukunft, in der die KI als „intelligente Infrastruktur“ allgegenwärtig wird?
Das wäre wünschenswert – vorausgesetzt, wir gestalten sie offen und zugänglich. Aktuell liegt die Kontrolle über große Modelle bei wenigen Unternehmen. Ich bin ein starker Verfechter von Open Source. Wir brauchen freie, transparente Modelle für die Gesellschaft, damit KI kein exklusives Gut bleibt. Wissen sollte nicht kommerziell versperrt sein. |