Intelligente Inklusion
Mitarbeitendengespräche sind oft für beide Seiten unbefriedigend. KI-gestütztes Coaching kann das ändern, glaubt die Psycholgin Yasemin Tahris, Co-Gründerin des Schweizer Startups FLOWIT.
human: Yasemin Tahris, wie entstand die Idee für FLOWIT?
Yasemin Tahris: Mein Mann leitet ein Handwerksunternehmen, und ich bin Arbeits- und Organisationspsychologin. Er hatte das Gefühl, dass er seine Mitarbeitenden nicht mehr richtig erreichte, besonders im Non-Desktop-Bereich. So entstand die Idee für FLOWIT, um Mitarbeitende besser einzubinden und Führungskräfte zu unterstützen. Später kam die Idee, KI einzusetzen, um den Prozess zu verbessern.
Ursprünglich war die Anwendung also nur für die eigene Firma gedacht?
Ja, genau. Aber inzwischen hat FLOWIT über 70 Kunden, darunter das Universitätsspital Basel, mit über 11.000 Nutzenden auf unserem System. Unser Team besteht mittlerweile aus 32 Mitarbeitenden, und wir haben bis letzten Sommer komplett eigenfinanziert gearbeitet. Dann haben wir Investoren hinzugezogen, um schneller zu wachsen.
Was macht die App genau?
Unsere App unterstützt bei Mitarbeitendengesprächen. Ein Chatbot stellt vorab Fragen an Mitarbeitende und Führungskräfte, um beide Perspektiven zusammenzuführen und das Gespräch vorzubereiten.
Und das Gespräch selbst?
Das Mitarbeitendengespräch bleibt von Mensch zu Mensch. Die App bereitet vor, hebt wichtige Punkte hervor und fördert den Dialog. Das Ziel ist ein konstruktiverer, persönlicherer Austausch ohne starre Bewertungssysteme.
Welche Technologie steckt hinter dem Chatbot?
Wir nutzen bestehende Sprachmodelle wie GPT und haben sie weiterentwickelt, um psychologische Aspekte besser zu integrieren. Dabei achten wir besonders auf den Datenschutz und anonymisieren alle Daten. Unser Fokus liegt auf einer sinnvollen und psychologisch fundierten Unterstützung der Gespräche.
Wie nehmen die HR-Abteilungen FLOWIT auf?
Sehr positiv. Die psychologische Perspektive unserer App wird sofort erkannt. HR-Abteilungen sehen uns als Unterstützung, die ihnen hilft, sich strategisch zu positionieren.
Und wie reagieren die Mitarbeitenden? Gibt es da Vorbehalte?
Wir arbeiten vor allem mit Menschen, die oft in herkömmlichen Systemen unterrepräsentiert sind, wie Küchenhilfen oder Handwerkerinnen. Sie schätzen es, dass sie überhaupt mal gefragt werden, besonders in ihrer eigenen Sprache – auch wenn es über einen Chatbot geschieht. Diese Inklusion ist ein wichtiges Element von FLOWIT.
Welche Rolle spielt die App im Vergleich zu menschlichem Austausch? Was kann sie, was ein Mensch nicht leisten kann?
Die App allein kann das nicht, und ich auch nicht. Aber gemeinsam können wir mehr erreichen. Die App hilft uns, Daten zu analysieren und psychologische Modelle anzuwenden, um Menschen optimal zu unterstützen.
Kann eure App helfen, Bias im HR-Bereich zu verringern?
Ja, daran arbeiten wir. Jeder Mensch hat Biases, sei es durch Kultur oder Erfahrung. Unsere App hilft, diese Biases zu erkennen und zu reflektieren. Wir entwickeln die App in diversen Teams, um viele Perspektiven einzubringen und wirklich inklusive Technologien zu schaffen.
Und was ist mit der Intuition erfahrener HR-Leute?
Diese Intuition ist wertvoll, stößt aber bei vielen Mitarbeitenden an Grenzen. Daten können sie ergänzen und validieren. Wenn ein HR-Verantwortlicher seine Erfahrung mit Daten stützt, wird er in der Geschäftsleitung ernster genommen. Es geht darum, Hypothesen mit Daten zu überprüfen – das ist wissenschaftliches Arbeiten.
Was lernen Sie selbst durch Ihre App über Ihre eigenen Mitarbeitenden?
Die App hilft mir, mich tiefer mit den individuellen Bedürfnissen meiner Mitarbeitenden auseinanderzusetzen. Sie erinnert mich daran, regelmäßig zu fragen: „Wie fühlst du dich bei der Arbeit? Wo möchtest du dich entwickeln?“ Natürlich finden viele Gespräche auch persönlich statt, aber die App strukturiert den Prozess und bringt oft Themen auf den Tisch, die im Alltag leicht untergehen. |